- Semantik: Bedeutungen von Wörtern und Sätzen
- Semantik: Bedeutungen von Wörtern und SätzenDer Begriff der Semantik ist relativ jung. Er wurde erst am Ende des 19. Jahrhunderts aus dem griechischen Wort sêma für »Zeichen«, »Merkmal« gebildet und dient als allgemeine Bezeichnung für Untersuchungen der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke. Tatsächlich haben sich aber schon seit Platon und Aristoteles Philosophen und Grammatiker mit der Frage nach der Bedeutung von Wörtern und Sätzen befasst. Heute sind mit diesem Problem neben der Linguistik auch andere Fächer wie die Psychologie und die Philosophie konfrontiert. Sie haben verschiedene Antworten entwickelt, und selbst in der Sprachwissenschaft rivalisieren mehrere Traditionen. Das hat zu sehr unterschiedlichen Auffassungen des Begriffs der Bedeutung geführt. So untersucht die linguistische Semantik die Bedeutungen von Wörtern und Sätzen, Bedeutungsbeziehungen zwischen sprachlichen Ausdrücken — etwa Bedeutungsgleichheit (Synonymie), Verhältnis der Ober- und Unterordnung (Hyponymie), einander ausschließende Wortbedeutungen (Exklusion) —, Beziehungen inhaltlich benachbarter Wörter (»Wortfelder«) sowie auch Bedeutungsbeziehungen im Rahmen von Sätzen und ganzen Texten. Im Unterschied zur Semantik ist die allgemeine Semiotik auch für Gehalte nicht sprachlicher Zeichen wie Gesten, Verkehrsschilder, Signale von Tieren oder religiöse Symbole zuständig.Bei Wörtern, Sätzen und Texten unterscheidet man zwischen dem Ausdruck und dem Inhalt (Gehalt, Bedeutung). Ein und dasselbe Wort kann Verschiedenes ausdrücken. Das Wort Bank bedeutet in manchen Zusammenhängen »Geldinstitut«, in anderen »Sitzgelegenheit«. Umgekehrt können verschiedene Ausdrücke wie Tierarzt und Veterinär dasselbe bedeuten. Darüber hinaus unterscheiden die Semantiker zwischen dem konstanten Kern des von einem Wort oder Satz ausgedrückten Gehalts und dem von Sprechern, Situationen oder Kontexten abhängenden Gehalt. Wegen der undeutlichen Grenze gewinnt der Vorschlag an Boden, die konstanten Kerne der Inhalte »Bedeutungen« zu nennen und sie zu Gegenständen der Semantik zu erklären, und die von Sprechern, Situationen oder Kontexten abhängenden Gehalte dagegen der Pragmatik zuzurechnen. Mit dem an meine Frau und mich gerichteten Satz Gehören sie zusammen? fragt die Verkäuferin eigentlich nach unserem Verhältnis. Der wörtliche Anteil des Gehaltes ist die Bedeutung des Satzes und als solcher Gegenstand der Semantik. In der Bäckerei drückt der Satz jedoch die Frage aus, ob neben meiner Frau auch ich einen Wunsch habe. Was die Verkäuferin mit diesem Satz in der besonderen Situation meint, ist Gegenstand der Pragmatik.Das semantische DreieckDie komplexen Wörter Abendstern und Morgenstern haben verschiedene Bedeutungen, die man vielleicht mit »am Abendhimmel/Morgenhimmel stehender Stern« umschreiben kann. Beide beziehen sich aber auf den Planeten Venus. Die Wissenschaft hat sich geeinigt, den Planeten Venus die »Extension« der Wörter Morgenstern und Abendstern zu nennen, anstelle von Bedeutung wird auch von »Intension« gesprochen. Danach hätten die Ausdrücke Abendstern und Morgenstern die gleiche Extension, aber verschiedene Intensionen beziehungsweise Bedeutungen. Diese dreigliedrige Unterscheidung zählt in der einen oder anderen Form zum klassischen Bestand der Semantik und man veranschaulicht sie oft in Form eines semantischen Dreiecks. Mit einem Ausdruck bezieht man sich auf die Extension, und zwar über den Umweg seiner Bedeutung oder Intension. Man sagt auch, der Ausdruck »referiert« mithilfe einer Bedeutung auf einen Gegenstand.Im Zusammenhang mit dem Wortschatz ist einiges zu Bedeutungen von Wörtern gesagt worden. Der Abschnitt zur Syntax behandelt die Prinzipien der Verknüpfung von Wörtern zu Sätzen. Das klassische Modell für die entsprechende Verknüpfung von Wortbedeutungen zu Satzbedeutungen verdanken wir der mathematischen Logik — genauer dem Architekten der modernen Logik Gottlob Frege und dem Exponenten der polnischen Logik und Begründer der modernen logischen Semantik Alfred Tarski.Die logische Semantik benennt in einem ersten Schritt die Extensionen der Wörter und verknüpft diese in einem zweiten Schritt zu Extensionen von Sätzen. Im Falle des einfachen Satzes Ilse tüftelt weist sie dem Namen Ilse als Extension die Person Ilse zu und dem Prädikat tüftelt als Extension eine charakteristische Funktion f. Diese charakterisiert eine Situation, in der zum Beispiel Ilse tüftelt, aber Peter nicht, in dem Sinne, dass sie für Ilse zum Beispiel den Wert »wahr« gibt und für Peter den Wert »falsch« — in mathematischer Notation: f (Ilse) = wahr und f (Peter) = falsch. Seinen eigentlichen Wert entfaltet dieses Vorgehen erst bei der semantischen Interpretation komplexerer Ausdrücke. Die Logik hat Extensionen auch für mehrstellige Prädikate oder Beziehungen wie x zerstört y und x schenkt dem y das z sowie für Satzverknüpfungen wie nicht und oder und vor allem für die Quantoren wie einige und alle entwickelt. Damit ist die Logik zum Modell für die moderne Semantik schlechthin geworden.Allgemein unterliegen die Berechnungen dem Prinzip, dass die Extensionen von Verknüpfungen (von Wörtern) sich aus der Verknüpfung der Extensionen (der Wörter) ergeben. Anders gesagt: Die Bedeutung der grammatischen Verknüpfung der Wörter ist das Ergebnis der semantischen Verknüpfung der Bedeutungen der Wörter. Diesem bedeutenden Prinzip unterliegen auch nicht sprachliche Formen der Abbildung. Ein Teil des Bildes (einer Landschaft) ist das Bild eines Teiles (der Landschaft). In der Sprache gilt das Prinzip bei Ausdrücken verschiedener Länge in verschiedenem Maße. Die erste Hälfte einer Fußballreportage ist fraglos eine Reportage der ersten Halbzeit. Bei einzelnen Sätzen gilt es in dem beschriebenen Sinne. Selbst bei manchen Wortbildungen ist es wirksam — zum Beispiel bei Tintenfleck oder Polarbär, deren Bedeutungen sich auf nahe liegende Weise aus den Bedeutungen ihrer Teile ergeben. Bei anderen Wörtern wie Fahrstuhl oder Fahrrad genügt es nicht. Und im Falle arbiträrer Wörter wie Bär schließlich versagt es ganz, denn die Bedeutung von Bär lässt sich nicht aus »Bedeutungen« der Laute / b/, /ä/ und /r/ gewinnen. Das Prinzip gilt bei langen Ausdrücken und verliert mit kürzer werdenden Ausdrücken zunehmend an Gültig- keit. Das beschriebene Prinzip ist also das semantische Pendant zu Chomskys syntaktischer Produktivität.Intension und ExtensionDie Gleichsetzung von Bedeutung mit Extension erfasst nur einen Aspekt des Gehaltes von Ausdrücken. Frege hat in diesem Zusammenhang ein merkwürdiges Problem entdeckt und mit seinem im Jahre 1892 veröffentlichten Traktat »Über Sinn und Bedeutung« bis heute die Diskussion bestimmt. Wenn es der Intension obliegt, uns — sozusagen — zur Extension zu führen, warum verstehen wir komplexe Wörter wie Morgenstern und Abendstern, ohne gleich ihre Extensionen zu kennen. Warum verstehen wir Sätze wie der Abendstern ist identisch mit dem Morgenstern, ohne zugleich zu wissen, ob sie wahr oder falsch sind? Wenn das unmöglich wäre, könnte man keine Fragen stellen, deren Antwort aussteht. Man könnte keine Nachricht verstehen und sich bei der Beurteilung ihrer Wahrheit auf andere verlassen. In allen Fällen besteht eine Differenz zwischen der Kenntnis der Bedeutungen der Wörter und der Erkenntnis der Wahrheit des Satzes. Frege hat die Frage aufgeworfen, warum wir, obwohl wir die Intension von Ausdrücken verstehen, oft deren Extension nicht kennen; dieses Problem ist bis heute nicht zufrieden stellend gelöst.Der amerikanische Philosoph und Logiker Saul Kripke hat vorgeschlagen, Ausdrücken in Abhängigkeit von Situationen oder Kontexten — oder wie er in Anlehnung an Gottfried Wilhelm Leibniz formuliert — von »möglichen Welten« eine Extension zuzuweisen. So könnte man zum Beispiel in einer Situation dem Prädikat tüftelt die charakteristische Funktion zuweisen, die Ilse tüfteln lässt, aber Peter nicht, und in einer anderen Situation die charakteristische Funktion, die beide zugleich tüfteln lässt. Tatsächlich wandelt sich die Gesamtheit der Tüftelnden ständig. Der Sinn oder die Intension des Prädikates tüftelt wäre dann dasjenige Prinzip, nach dem der Audruck tüftelt abhängig von der Situation oder dem Kontext eine charakteristische Funktion erhält. Ohnehin wird eine derartige Konstruktion von der Pragmatik verlangt. Denn mit demselben Satz kann man in verschiedenen Situationen verschiedene Aussagen und mit verschiedenen Sätzen kann man dieselbe Aussage machen. Die von Kripke begründete Semantik der möglichen Welten und eine von Jon Barwise und John Perry im Jahre 1983 entwickelte »Situationssemantik« sind bedeutende Weiterentwicklungen der logischen Semantik von Frege und Tarski.Überlegungen zum Begriff der WahrheitDie logische Semantik beruht wesentlich auf dem Begriff der Wahrheit. Die Frage, was Wahrheit ist, begleitet die Geschichte der Philosophie seit ihren Anfängen und hat zu einer Reihe verschiedener Antworten geführt. Der polnische Logiker Alfred Tarski hat zur Klärung dieser Frage mit einer Epoche machenden Abhandlung von 1933/35 »Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen« beigetragen. Seine Ergebnisse betreffen in erster Linie künstliche, sprachähnliche Systeme der Logik und Mathematik und nicht natürliche Sprachen. Wahrscheinlich gelten sie aber in irgendeiner Form auch bei ihnen.Tarskis erstes Ergebnis überrascht weniger bei natürlichen Sprachen als bei logischen Systemen. Es besagt, dass der Begriff der Wahrheit für Sätze einer bestimmten Sprache teilweise in dieser Sprache selbst definiert werden kann. Sein zweites Ergebnis ist in diesem Zusammenhang das Wesentliche und von negativer Natur: Der vollständige Begriff der Wahrheit für die Sätze einer Sprache lässt sich in dieser Sprache selbst nicht definieren. Das dritte Ergebnis besagt, dass der Begriff der Wahrheit für Sätze einer Sprache sich vollständig in bestimmten Sprachen höherer Ausdruckskraft definieren lässt. Da wir keine Sprache lernen und sprechen können, die unsere Muttersprache an Ausdruckskraft wesentlich übertrifft, impliziert dieses Ergebnis die Unmöglichkeit einer vollständigen Definition der Wahrheit aller deutschen Sätze in der deutschen Sprache. Da andere Sprachen im Wesentlichen gleichwertig sind, kann dieses Ergebnis auf alle menschlichen Sprachen übertragen werden. Wenn eine vollständige Semantik auf einer Definition des Begriffs der Wahrheit beruht, folgt aus Tarskis semantischen Theoremen, dass sich die Semantik einer natürlichen Sprache in deren Rahmen nicht vollständig ausdrücken lässt, oder — philosophisch ausgedrückt — die Transzendenz der Semantik. In der zeitgenössischen Linguistik und Sprachphilosophie werden die Ergebnisse Tarskis intensiv diskutiert.Prof. Dr. Volker BeehWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Pragmatik: Sprache in bestimmten SituationenGrundlegende Informationen finden Sie unter:Syntax: Gliederung von SätzenEinführung in die praktische Semantik, bearbeitet von Hans Jürgen Heringer u. a. Heidelberg 1977.Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung, in: Frege, Gottlob: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien, herausgegeben von Günter Patzig. Göttingen51980.Semantik, herausgegeben von Arnim von Stechowund Dieter Wunderlich Berlin u. a. 1991.
Universal-Lexikon. 2012.